Kunst im öffentlichen Raum in Hagen

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Texte:

Zur Geschichte der Kunst im Hagener Stadtraum

Allgemeine strukturelle Überlegungen zur Kunst im Stadtraum

 

Zur Einrichtung von Kunst im öffentlichen Raum

 

Die Kunst der neuzeitlichen Moderne

Die Kunst der neuzeitlichen Moderne ist aus einer radikalen Veränderung des künstlerischen Selbstverständnisses hervorgegangen. Im Mittelalter und in der Antike stand die Kunst im Dienste einer übersinnlichen Ordnung; ihre Aufgabe war es, die kosmische oder göttliche Hierarchie widerzuspiegeln. Im Kunstwerk drückte sich nicht das Genie eines Künstlers aus, sondern vielmehr die göttliche Wirklichkeit, die jener als bescheidener Rhapsode erfaßte.(1) Die neuzeitlichen Vorstellungen über Schönheit, Kunst und Künstler haben sich grundsätzlich verändert. Während im Mittelalter alles in Gott seinen Ursprung und durch ihn seine Bedeutung hatte, erhält in der Neuzeit der Mensch, der sich auf seine Erfahrung und sein Denken beruft, den Vorrang. Das Kunstwerk spiegelt nicht mehr in erster Linie die übersinnliche Wirklichkeit wider, sondern ist zum charakteristischen Ausdruck der Persönlichkeit des Künstlers geworden. Diese radikale Veränderung in der Auffassung des Künstlers trug den Keim der Entstehung der Avantgarde der Moderne in sich. Niemanden käme es in den Sinn, den Namen des Künstlers des Kuros von Tenea in der Münchener Glyptothek zu erfragen; hinsichtlich moderner Kunst scheint es bisweilen wichtiger zu sein, den Namen des Künstlers und einiges aus seinem Leben zu kennen als ein Wissen über das Werk zu haben. Der Künstler, der in der Antike und im Mittelalter 'Mittler' zwischen Mensch und Gott war, ist von der neuzeitlichen Moderne über die Aufklärung bis zur Moderne des 20. Jahrhunderts zum 'Genie' geworden, das alle Quellen seiner Inspiration in sich selbst, d. h. in der musterhaften Originalität im Gebrauch seiner Erkenntniskräfte, zu finden vermag.(2) Das Schöne kann nicht mehr entdeckt werden; es ist nicht schon in der übersinnlichen Welt als der Glanz der Urwirklichkeit vorhanden, sondern muß regelrecht erfunden werden. Man könnte hier von einer kopernikanischen Wende in der Ästhetik sprechen. Allerdings verläuft die Entwicklung der Moderne nicht einheitlich. In der Avantgarde-Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt es sowohl eine Rückbindung an die antike Auffassung einer zeitlosen Schönheit als auch eine Übernahme der Wertvorstellungen der modernen Zivilisation und des Fortschritts. Aber auch in der Rückbesinnung auf die antike Auffassung einer Nachahmung der Natur konnte der Autonomieanspruch der Moderne aufrecht erhalten werden, dann nämlich, wenn zwischen der Schöpfung in der Natur und der Schöpfung in der Kunst eine Analogie behauptet wurde.(3) An die Stelle der abbildenden Kunst, die nach der Natur arbeitet, trat die bilderzeugende Kunst, die wie die Natur hervorbringt. Hans Arp sagte das stellvertretend für viele moderne Künstler so: "Wir wollen nicht die Natur nachahmen. Wir wollen nicht abbilden, wir wollen bilden. Wir wollen bilden, wie die Pflanze ihre Frucht bildet, und nicht abbilden. Wir wollen unmittelbar und nicht mittelbar bilden."(4) Der Künstler verabschiedete sich hier von einer Tradition, in der es um eine Abbildung vorgegebener Bilder der Welt ging. Die bildnerische Darstellung stand nicht mehr im Dienste der Repräsentation, der Wiedergabe des Sichtbaren, sondern wurde vielmehr als autonome, sichtbar machende Schöpfung aufgewertet. Der Künstler war damit von seiner Tradition gänzlich abgetrennt und auf sich selbst zurückgeworfen. Als neue Möglichkeit eröffnete sich ihm nun, seine eigenen inneren Visionen in eine äußere zwei- oder dreidimensionale Form zu bringen. In anderen Kulturen, der fernöstlichen und der afrikanischen beispielsweise, ist ein derart gesteigertes Interesse am Individuellen nicht entwickelt worden;(5) hier ist die Kunst lediglich als Ausdruck kollektiver und göttlicher Erfahrung entstanden, niemals aber als Objektivierung individueller bildnerischer Sensibilität, wie in den verschiedenen Avantgarden am Anfang des 20. Jahrhunderts in Europa, die zu diesem Zweck den Bruch mit der Tradition und die Schaffung von zeitlos Neuem so weit wie es möglich war vorangetrieben haben. Sie sind damit auch an ihr Ende gekommen. Heute stellt sich für den Künstler die Frage, ob es in dem Zeitraum, der durch das Absterben der Avantgarde leer geworden ist, möglich sein kann, eine Kunst auf der Grundlage der Überwindung jeglicher Subjekt-Metaphysik zu schaffen, d. i. eine Kunst des in die sinnliche Wirklichkeit des Lebens eingebundenen Geistes.

Differenzierung und Autonomie

Subjektivierung des Künstlers heißt Autonomisierung der Kunst, heißt, daß der private und der öffentliche Raum der Moderne (der Innenraum wie der Außenraum), ganz im Gegensatz zur Prämoderne, mit allein vom Künstler zu verantwortenden Werken bestückt werden konnte. In vormodernen Zeiten ist die Kunst sowohl durch die öffentliche Meinung als auch durch die Macht in Kirche und Staat mitgestaltet worden. Neben der Kunst, die nach wie vor fremdbestimmt war, gab es seit der Renaissance eine, die allein aus sich selbst heraus ihre Werke hervorbrachte. Dieses widersprüchliche Nebeneinander von fremdbestimmter und selbstbestimmter Kunst konnte auch in einer Künstlerpersönlichkeit auftreten, wie beispielhaft in der von Goya, der als zeitkritischer Maler und gleichzeitig als Hofmaler des spanischen Königs tätig war. Die Kunst der Moderne hat alle Beziehungen zu außerkünstlerischen Instanzen aufgekündigt und ihre Werke nur noch einem "selbstbestimmten, kunstimmanenten Wertmaßstab"(6) ausgesetzt. In der Moderne wird der Kunst als einer der Sphären der ausdifferenzierten Vernunft ein eigenständiger Platz neben der Wissenschaft und der Moral zugewiesen: "Max Weber hat die kulturelle Moderne dadurch charakterisiert, daß die in religiösen und metaphysischen Weltbildern ausgedrückte substantielle Vernunft in drei Momente auseinandertritt, die nur noch formal (durch die Form argumentativer Begründung) zusammengehalten werden. Indem die Weltbilder zerfallen und die überlieferten Probleme unter den spezifischen Gesichtspunkten der Wahrheit, der normativen Richtigkeit, der Authentizität oder Schönheit aufgespalten, jeweils als Erkenntnis-, als Gerechtigkeits-, als Geschmacksfragen behandelt werden können, kommt es in der Neuzeit zu einer Ausdifferenzierung der Wertsphären Wissenschaft, Moral und Kunst."(7) Diese Ausdifferenzierung wird von dem Philosophen Jürgen Habermas als historischer Fortschritt begriffen. Sie befreit die Kunst aus ihren traditionellen höfischen, kirchlichen und ständischen Funktionszusammenhängen und leitet eine Entwicklung ein, die als Prozeß zunehmender Autonomisierung beschrieben werden kann. Die Kunst der Moderne des 20. Jahrhunderts ist völlig auf sich selbst gestellt: "Ihre Inhalte fügen sich in das, was täglich beschäftigt, nicht mehr ein, weil sie sich in einer metasprachlichen Volte selbst zum Thema gemacht hat."(8) Von der Renaissance bis zur Moderne des 20. Jahrhunderts konnte sich die Kunst von außerkünstlerischen Zwecken immer mehr freihalten und gehorchte schließlich nur noch - um es in Kants berühmten Worten zu sagen - einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck, d. h. einer Zweckmäßigkeit, die darin besteht, die Möglichkeit der eigengesetzlichen Entwicklung zu ergreifen, um dadurch einer Antwort auf die Frage Was ist Kunst? näher zu kommen.(9) Gänzlich abgetrennt davon organisierte sich das gesellschaftliche Leben in rational und zweckmäßig geregelten wirtschaftlichen und administrativen Handlungsbereichen. Es versteht sich von selbst, daß mit der eigensinnigen Entwicklung der Kunst ihre gesellschaftliche Relevanz verloren ging, denn einen gesellschaftlichen Anspruch kann die Kunst nur erheben, wenn sie in die anderen Bereiche eingreift. Aber die Kunst der Moderne hat alle Beziehungen zu außerkünstlerischen Bereichen aufgekündigt und ihre Werke nur noch einem 'selbstbestimmten, kunstimmanenten Wertmaßstab' ausgesetzt. Auch innerhalb der Kunst gab es eine Ausdifferenzierung. Als Ludwig Mies van der Rohe 1929 im Innenhof seines berühmten Barcelona-Pavillons eine Statue von Georg Kolbe aufstellte, war für beide klar, daß die Plastik nicht ein Dekorationselement für die Architektur sein kann, sondern gegenüber dem Bauwerk als ein eigenständiges Bildwerk betrachtet werden muß. Diese Emanzipation der Plastik von der Architektur kann auf Adolf Loos zurückgeführt werden, der dem Ornament den Kampf angesagt hatte. Infolge dieser Entwicklung hat die Architektur auf die skulpturale Schmückung ihrer Werke verzichtet. Die Plastik, die einmal öffentliche Kunst war, wurde zur musealen Kunst. Heute wird diese Entwicklung beklagt, und jüngere Künstler denken darüber nach, wie die Plastik in die Architektur wiedereingegliedert, aber auch, wie sie im öffentlichen Raum aufgestellt werden kann.

Entdifferenzierung und Öffentlichkeit

In der Postmoderne hat die Kunst den Weg einer Entdifferenzierung der ausdifferenzierten Sphären eingeschlagen. Die Werke durchbrechen die ästhetische Immanenz der Avantgarde-Kunst und stellen Bezüge mit außerästhetischen Bereichen her, was eine lebenspraktisch folgenreiche Rezeptionshaltung hervorzubringen verspricht. Nach dem Ende der Avantgarden läßt sich nämlich eine neue Haltung des Künstlers erkennen, eine Haltung, die den Anspruch auf Autonomie nicht mehr um jeden Preis erhebt, sondern für ein neues Verhältnis mit außerkünstlerischen Bereichen sich öffnet. Eine solche Haltung hat sich beispielsweise in der Werkentwicklung von Joseph Beuys herausgebildet. Eine 'Kunst', die über den Bereich des bloß Ästhetischen hinausgeht und im öffentlichen Raum als "geistiger Impulsgeber" fungieren will, und ein 'öffentlicher Raum', der nicht nur als "Stellmöglichkeit" für autonome Werke verstanden wird, sondern als das "maßgebende Forum"(10) der Fortentwicklung der Kunst nach dem Ende der Avantgarden, geben ein Modell, das für Kunst im öffentlichen Raum signifikante Grenzüberschreitungen erwirken könnte. Als Beispiel einer solchen öffentlichen Kunst wäre das Projekt der Hambuger Spülfelder zu nennen, in dem es Beuys darum ging, die durch Menschenhand geschundene Natur ästhetisch zu rehabilitieren. Eine solche Kunst will mehr als einen flüchtigen optischen Reiz auslösen, nämlich in die Lebenswirklichkeit der Menschen eindringen, um so die Verborgenheit des Seienden in die Unverborgenheit zu setzen und dadurch in eine neue und wesentliche Welt aufbrechen zu können. Denn Kunst ist ein Anliegen, das den Menschen in seinem Wesen angeht. Aber das bedeutsamste Kriterium solcher Kunst, nämlich exemplarisch und musterbildend zu sein, ist bei den Auftraggebern für Kunst im öffentlichen Raum häufig unerwünscht. Bei dem, was heute im öffentlichen Raum herumsteht, handelt es sich deswegen auch allzu oft um leicht zugängliche, oder aber um längst legitime autonome Werke, die qua Voraussetzung nicht geeignet sind, das 'Paradoxon ihrer Isolation inmitten der Sichtbarkeit' aufzuheben, insofern das Absterben des öffentlichen Raums sogar noch begünstigen.(11) Es bleibt also zu empfehlen, den öffentlichen Raum in Zukunft mit Kunstwerken einzurichten, die ein Verweilen des Menschen fördern, ein Verweilen des Menschen in seinem Wesen.


(1) Vgl. Platon, Ion, in: Sämtliche Werke 1, übersetzt v. Schleiermacher, Hamburg 1985, S. 102f.
(2) Vgl. I. Kant, Kritik der Urteilskraft, hrsg. v. K. Vorländer, Hamburg 1974, S. 160.
(3) Vgl. B. Recki, "Mimesis: Nachahmung der Natur. Kleine Apologie eines mißverstandenen Leitbegriffs", in: Kunstforum, Bd. 114, 1991, S. 117ff.
(4) H. Arp in: E. Trier, Bildhauertheorien im 20. Jahrhundert, Berlin 1971, S. 141.
(5) Vgl. M. Rowell (Hg.), Skulptur im 20. Jahrhundert, München 1986, S. 7-10.
(6) Vgl. M. Warnke, "Kunst unter Verweigerungspflicht", in: V. Plagemann (Hg.), Kunst im öffentlichen Raum, Köln 1989, S. 225.
(7) J. Habermas, "Die Moderne - ein unvollendetes Projekt", in: W. Welsch (Hg.), Wege aus der Moderne, Weinheim 1988, S. 183.
(8) St. Schmidt-Wulffen, "En passant", in: "Jenisch-Park". Skulptur, Katalog hrsg. v. d. Kulturbehörde Hamburg, Hamburg 1986, nicht paginiert.
(9) Vgl. J.-F. Lyotard, Immaterialität und Postmoderne, Berlin 1985, S. 38.
(10) Vgl. U. M. Schneede, "Joseph Beuys' 'Gesamtkunstwerk Freie und Hansestadt Hamburg'", in: V. Plagemann (Hg.), Kunst im öffentlichen Raum, Köln 1989, S. 203.
(11) Vgl. R. Sennett, "Der öffentliche Raum stirbt ab", in: Kunstforum, Bd. 81, 1985, S. 100ff.