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DEUTSCHES MUSEUM FÜR KUNST IN HANDEL UND GEWERBE

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Dokument aus dem Karl Ernst Osthaus-Archiv


Osthaus: Rede auf der Werkbundtagung Köln 1914, in: Hermann Muthesius: Die Werkbund-Arbeit der Zukunft mit Aussprachen darüber von van de Velde, Behrens, Osthaus, Jena 1914, S. 64- 68


 

Karl Ernst Osthaus

Meine Damen und Herren!

Herr Muthesius hat uns Leitsätze gegeben, damit wir dazu ein Referat halten sollten. Die Leitsätze sind nun gewissermaßen zurückgezogen. Jedenfalls hat sich ergeben, daß sie den Inhalt des Vortrages nicht in einem eigentlichen Geiste wiedergeben, und wir sollen uns statt dessen zu dem Vortrag äußern, der uns nicht vorlag. Wir können demnach das Referat, was wir halten wollten, nicht halten, sondern müssen uns etwas improvisiert zu dem Vortrag äußern. Immerhin haben der Vortrag und die Leitsätze das Gemeinsame, daß sie vom Typengedanken ausgehen. Es ist aber hier noch nicht zum Ausdruck gekommen, was unter diesem Wort "Typen" eigentlich zu verstehen ist, und ich glaube, es wird vielleicht nicht unwillkommen sein, wenn ich einige Worte dazu sage.

Das Wort "Typen" ist nicht so ganz wesenlos, wie Herr Endell meint. Es hat ein bestimmtes Gesicht in der Werkbundbewegung. Meines Wissens ist der Typengedanke ausgegangen vom Arbeiterwohnhausbau. Es hat sich nämlich ergeben, daß Arbeiterkolonien wesentlich billiger werden, wenn man bestimmte Bauteile, Fenster, Türen, Heizungsanlagen usw. typisiert, d.h. auf wenige Grundformen zurückführt. Herr Metzendorf z. B. hat bei seiner Kolonie in Essen eine Fensterform 4000 mal, eine andere 7000 mal im Jahre verwendet. Es ist sehr ersichtlich, daß bei so großen Anlagen die Zurückführung auf einheitliche Formen wesentliche Ersparnisse nach sich zieht, und darin, meine Damen und Herren, liegt wohl die Berechtigung des Typengendankens. Man ist nun nicht stehen geblieben beim Arbeiterwohnhausbau, sondern hat versucht, den Typengedanken auf die Möbelfabrikation zu übertragen. Meines Wissens ist das mit besonderer Vorliebe in den Deutschen Werkstätten in Dresden geschehen. Auch hier handelt es sich darum, daß Möbel verschiedener Art und Bestimmung auf Einheitsmaße zurückgeführt werden, auf Rahmenstücke, Füllungen usw. Es sind da insbesondere von Herrn Riemerschmid sehr sinnreiche Kombinationen erfunden worden, wie man aus Einheitsformen Möbel ganz verschiedener Art (Betten, Kommoden, Schränke, Tische u. s. w.) zusammenfügen kann. Die Typenbildung beruht auch in diesem Falle auf Kalkulationserwägungen, denn es ist klar, daß so fabrizierte Möbel vorteilhafter verkauft werden können als andere. Der soziale Vorteil, der sich daraus ergibt, ist sehr ersichtlich. Wenn diese Typenmöbel wirklich gut erfunden werden, kann eine verhältnismäßig große Zahl von Menschen dadurch Anteil nehmen an den Segnungen der Werkbundbewegung.

Sie sehen, meine Damen und Herren, wie der Begriff "Typen" entstanden ist, und ich glaube, wir werden ohne Weiteres zugeben, daß diese Typenbildung Vorteile hat.

Aber ich muß mich im übrigen zu den Leitsätzen des Herrn Prof. van de Velde und zu den Worten des Herrn Endell bekennen, indem ich es durchaus ablehne, daß diese Typenbildung eine Bedeutung für das Künstlerische zugemessen werden soll. Ich stehe mit Herrn Endell auf dem Standpunkt, daß Typenbildung in der Vergangenheit im Allgemeinen auf Täuschung, auf schlechtem Hinsehen beruht. Typen bilden sich überall da aus, wo gleiche Lebensbedingungen vorliegen. Schon die Tatsache, daß bei uns zuerst Typen im Arbeiterwohnhausbau entstanden sind, zeigt das deutlich. Wo gleiche Lebensbedingungen vorliegen, wo eine große Zahl von Arbeitern über das gleiche Einkommen verfügt, da könne aus diesen gleichen Lebensbedingungen auch gleiche Formen entstehen. Im übrigen aber ist unsere Zeit nicht so beschaffen, daß sie zu gleichen Formen führen könnte. Das trifft vielleicht in ganz großen Städten bei Etagenwohnbau zu, sofern er blockweise betrieben wird. Im übrigen aber wissen Sie wohl, wie sehr schon die Vermögen bei uns in Deutschland auseinandergehen. Sie wissen ferner, wie die landschaftlichen Bedingungen wechseln, wissen, daß im nördlichen Deutschland vorwiegend mit Backstein, im südlichen mit Sandstein gebaut wird, daß Zement und Beton, die heute eine große Rolle spielen, ihren definitiven Stil noch keineswegs gefunden haben. Noch nirgendswo kann man mit Bestimmtheit sagen, daß man billiger in diesem oder jenem Material baut. Es geht alles durcheinander. Alles ist im Werden, und es wäre infolgedessen ein Vorgriff in die Zukunft, schon heute eine Typisierung zu konstatieren oder auch nur zu verlangen. Dazu kommt, daß Typisierung mit Kunst überhaupt nichts zu tun hat. Wenn Sie auf das 18. Jahrhundert blicken, so finden Sie allerdings eine gewisse Gleichartigkeit im Wohnhausbau der Städte und Dörfer. Diese Gleichartigkeit berührt wohltuend, als eine Art von Harmonie. Aber wenn wir irgendwo stehen bleiben, um ein Haus besonders ins Auge zu fassen, wenn wir den Eindruck haben, daß ein Künstler am Werk gewesen, dann hebt sich dieses Haus eben aus den Typen heraus. Ich möchte hinzufügen, daß, so lange die Welt steht, diese künstlerischen Einzelleistungen das Epochemachende in einer Entwicklung gewesen sind und daß in Anlehnung an sie die Typen allmählich entstanden sind. Die ganze Kunst- und Architekturgeschichte ist nichts anderes als die Geschichte schöpferische Leistungen und ihres Einflusses auf das Milieu. Ich möchte das nicht weiter verfolgen, Ihnen aber ein paar Sätze aus Schopenhauer vorlesen, aus der "Welt als Wille und Vorstellung" drittem Teil, wo er sich mit der Kunst befaßt. Vielleicht ist in diesem dritten Buch das Beste gesagt, was jemals von einem Philosophen über Architektur ausgesprochen wurde. Vorausschicken muß ich, daß Schopenhauer sich über das Verhältnis von Idee und Begriff ausspricht. Für uns sind diese beiden Wörter "Idee" und "Begriff" ziemlich identisch mit "Kunst" und "Typus". Es heißt hier also:

"Allem Gesagtem zufolge ist nun der Begriff, so nützlich er für das Leben, und so brauchbar, notwendig und ergiebig er für die Wissenschaft ist, für die Kunst ewig unfruchtbar. Hingegen ist die aufgefaßte Idee die wahre und einzige Quelle jedes echten Kunstwerks. In ihrer kräftigen Ursprünglichkeit wird sie nur aus dem Leben selbst, aus der Natur, aus der Welt geschöpft, und auch nur von dem echten Genie, oder von dem für den Augenblick bis zur Genialität Begeistertem. Nur aus solcher unmittelbarer Empfängnis entstehen echte Werke, die unsterbliches Leben in sich tragen. Eben weil die Idee anschaulich ist und bleibt, ist sich der Künstler der Absicht seines Werkes nicht in abstracto bewußt; nicht ein Begriff, sondern eine Idee schwebt ihm vor; daher kann er von seinem Tun keine Rechenschaft geben: er arbeitet, wie die Leute sich ausdrücken, aus bloßem Gefühl und unbewußt, ja instinktmäßig. Hingegen Nachahmer, Manieristen, imitatores, servum pecus, gehen in der Kunst vom Begriff aus: sie merken sich, was an echten Werken gefällt und wirkt, machen sich es deutlich, fassen es im Begriff, also abstrakt auf, und ahmen es nun, offen oder versteckt, mit kluger Absichtlichkeit nach. Sie saugen, gleich parasitischen Pflanzen, ihre Nahrung aus fremden Werken, und tragen, gleich den Polypen, die Farbe ihrer Nahrung."

Ich möchte damit das Thema der Typenbildung verlassen und mich noch zu einigen Bemerkungen wenden, die Herr Muthesius in seinem Vortrage gemacht hat. Er äußerte sich über Antiquitäten und bezeichnete es als eine Art von Unfug, daß heute Antiquitäten gesammelt werden. (Widerspruch!)

Muthesius (unterbrechend): Ich wandte mich nicht gegen das Sammeln von Antiquitäten an und für sich, sondern nur gegen das Sammeln von Fälschungen!

Osthaus (fortfahrend): Dann muß ich um Entschuldigung bitten, wenn ich mich nicht ganz genau habe orientieren können. Da der gestrige Tag vollständig angefüllt war von Pflichten, muß ich das im Vortrage nicht richtig aufgefaßt haben. Es ist jedenfalls eine Bemerkung, die man sehr häufig hört, daß das Sammeln von Antiquitäten unserer Zeit nicht förderlich wäre, und es wird sehr oft beklagt, daß große Summen für Antiquitäten ausgegeben werden. Nun ist es zweifellos richtig, daß das Sammeln von Antiquitäten höchst beklagenswerte Folgen gehabt hat, und daß Leute, die von Antiquitäten und Kunst nichts verstehen, es für vornehm halten, sich mit Antiquitäten zu umgeben. Ein großer Teil unseres Nationalvermögens wird dadurch in Dingen angelegt, die gänzlich wertlos sind, und unserem Gewerbe entzogen. Darin stimme ich Herrn Muthesius durchaus zu. Aber ich möchte doch darauf hinweisen, daß der verständige Sammler von großer Bedeutung und großem Werte auch gerade für unsere Werkbundbewegung ist. Ohne Sammler keine Kultur. Herr Endell hat sehr schön auseinandergesetzt, wie man gewissermaßen in eine Art von "Verrücktheit" gerät, wenn man von einem schönen Gegenstande gepackt wird. Das ist ein intensives Gefühl, und dieses Gefühl muß sich auswirken können. Es ist so wichtig für Kultur wie Tradition, daß die schönen Werke der Vergangenheit erhalten werden, und es verdient alle Förderung, wenn echte Sammlertätigkeit auf Erhaltung und Herbeiziehung des Schönen ausgeht. Wie oft beobachtet man in unseren Museen, wie Künstler mit Bewunderung vor alten Gegenständen verweilen und ihre besten Anregungen dort empfangen. Ich möchte Sie deshalb bitten, den Sammler als besten Bundesgenossen der Künstler und auch der Gewerbe aufzufassen.

Es ist dann in der Diskussion von Exportschund die Rede gewesen. Nun ist es zweifellos, daß wir von Deutschland aus viel Schund exportieren. Ich möchte Ihnen aber einige Beobachtungen nicht vorenthalten, die mir in letzter Zeit viel zu denken gegeben haben. Seit kurzem ist bei uns ein Maschinenbatik sehr beliebt geworden, der in Holland für den javanischen Export hergestellt wird. Dieser Batik ist ursprünglich in Java selbst hergestellt worden, natürlich als Handarbeit. Die Holländer haben es durch wirtschaftliche Maßnahmen den Eingeborenen unmöglich gemacht, diese zeitraubende Arbeit noch auszuführen. Dann haben sie den Batik selbst angefertigt, als Maschinenarbeit. Doch diese Nachahmung ist schön und kann als Schundware keineswegs bezeichnet werden. Leute mit Geschmack verwenden sie mit Vorliebe zu Kleidern und Vorhängen. Warum? Weil sie in ihrem aus Java entlehntem Geschmack schöner sind wie fast alle für den europäischen Markt gedruckten Kattune. Eine ähnliche Beobachtung habe ich kürzlich in einer Fabrik gemacht, die Seile und Messer herstellt. Ich war überrascht, dort eine große Anzahl von nie gesehenen herrlichen Formen zu finden. Ich frug den Fabrikanten, warum man niemals diese Werkzeuge in unseren Läden finde. Die Antwort war: "Sie werden für den Export gemacht. Hier sehen Sie die Messer für Cuba, dort Beile für den Sudan und hier für Polynesien. Was die Reisenden an Waffen und Werkzeugen von dort mitbringen, stammt meistens aus unserer Fabrik." So haben wir die merkwürdige Erscheinung, daß unsere Industrie für den Wilden, der Ansprüche stellt, zwar gute Formen herstellt, nicht aber für den Europäer, dem außer der banalen Zweckmäßigkeit alles gleichgültig ist. Und hier komme ich auf den Punkt, der mir wesentlich scheint. Wir müssen unsere Bewegung als eine ethische auffassen. Nicht so sehr nach dem Export fragen als danach, ob unsere Arbeit unser würdig ist. Anständig arbeiten, weil wir nicht anders können, weil wir die Arbeit und die Schönheit lieben, weil Schönheit uns "verrückt" macht, und wir nichts anderes in unserer Umgebung sehen mögen. Darauf allein kommt es an. Und in dieser Gesinnung liegt die kraftvolle Wurzel unserer Bewegung. Ich bitte Sie, vergessen Sie das nicht.

Daß aber die merkantile Seite unserer Bewegung in der letzten Zeit besonders im Vordergrund gestanden hat, das beweist unter anderen Dingen die an sich sehr erfreuliche Erscheinung, daß wir Vertreter vom Handelsministerium seit vielen Jahren bei unseren Versammlungen haben begrüßen dürfen. Wir freuen uns dessen und dürfen hoffen, daß diese Beziehungen zu guten gemeinsamen Taten führen. Aber ich habe die Vertretung eines anderen Ministeriums seit vielen Jahren ebenso schmerzlich vermißt, daß ist das Arbeitsministerium. Worauf es ankommt, ist vor allem, daß die großen Aufgaben bei uns im Sinne der künstlerischen und gewerblichen Entwicklung vergeben werden. Und da scheint es mir zu hapern. Der Werkbund sollte seine ganze Stoßkraft dafür einsetzen, daß unsere Arbeitsministerien mehr Verständnis für diese Fragen gewinnen und bei Vergebung der großen staatlichen Aufträge darauf Rücksicht nehmen. (Lebhaftes Bravo.) Wenn wir das erreichen, dann ist uns auch im übrigen geholfen. Dann werden unsere Künstler zu bilden und unsere Industrien im Sinne des künstlerischen Fortschritts zu arbeiten haben. Bevor wir mit Nutzen exportieren können, müssen wir zu Hause etwas schaffen, was uns die Achtung der Welt erobern kann. (Lebhafter Beifall.)