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Dokument aus dem Karl Ernst Osthaus-Archiv


Osthaus: Die Bedeutung der Gartenstadtbewegung für die künstlerische Entwickelung unserer Zeit, in: Die deutsche Gartenstadtbewegung. Zusammenfassende Darstellung über den heutigen Stand der Bewegung, Berlin 1911, S.99-101.


 

Die Bedeutung der Gartenstadtbewegung
für die künstlerische Entwickelung unserer Zeit.

Von Karl Ernst Osthaus, Hagen i. W.

Zunächst möchte ich einige Worte über meine Auffassung des Gartenstadtgedankens im allgemeinen sagen. Ich möchte betonen, daß ich an eine Entwickelung von Gartenstädten im Sinne von selbständigen Städten weder unbedingt glaube, noch sie für wünschenswert halte. Nur als Vorstädte, die aus historischen Gemeinwesen hervorwachsen und sie wie Trabanten umkreisen, möchte ich sie gelten lassen. Die Kleinstadt als Ideal schient mir absurd. Wir sind heute allesamt mehr wie je Weltbewohner geworden und drängen mit unseren Interessen nach wenigen großen Zentren, in denen sich die Kulturmöglichkeiten unserer Zeit allein im Großen entwickeln können. Es scheint mir darauf anzukommen, daß man diese Tatsache nicht verneint, sondern sie erklärt und erwirkt. Ich fasse also die Gartenstadtbewegung auf, als eine mächtige Entfaltung großer Gemeinwesen über ihren Bannkreis hinaus ins Land hinein, nur daß anstelle des regellosen Zufalls und der unzulänglichen Privatinitiative das weitausschauende Denken ganzer Gemeinwesen tritt. Ich denke mir die Weltstadt der Zukunft als ein Herz ungeheuer konzentrierter Energien, aus deren gemeinsamen Wirken die Kultur der Zukunft hervorwächst, und um diesen Kern ein radial gelagertes System von Wohnstätten - Gartenstätten, wenn man will - zwischen denen breite Promenaden, große Plätze zu Sport und Spiel sich allmählich zu Feld und Wald und Wiese erweitern.

Sie wünschen nun eine Meinungsäußerung von mir über die Bedeutung, welche die Gartenstadtbewegung für die künstlerische Entwickelung unserer Zeit annehmen wird. Ich glaube, daß man sie kaum überschätzen kann. Unsere Baukunst leidet vor allem unter einer übermäßigen Zersplitterung der Aufgaben, und wenn das Seltenen eintritt, daß ein Bauwerk über die Befriedigung praktischer Bedürfnisse hinaus künstlerische Bedeutung erhält, so wird es doch fast immer durch eine ordinäre Nachbarschaft in seiner Wirkung beeinträchtigt. Das Streben jedes Bauherrn wie jedes Architekten scheint es zu sein, alles tot zu schreien, was in der Umgebung vorhanden sein mag. Wer über diese Verhältnisse nachgedacht hat, weiß daher längst, daß das wichtigste Kunstproblem unserer Zeit weder im Kunstgewerbe noch in der Architektur, als Stil begriffen, liegt, sondern in der künstlerischen Durchbildung gesamter Gesichtskreise. Die Fragen, ob ein Haus mehr als Einzelkörper oder als Bestandteil einer Gruppe aufzufassen ist, ob seine Fassaden mehr dem Baukörper als solchem oder Raumgebilden, die sie einschließen, angehören, sind viel wichtiger geworden, als die Fragen nach tektonischem Ausdruck und dekorativem Schmuck. Seit man dies erkannt hat, sind daher Kräfte bei der Arbeit, größere Gruppen von Häusern, Straßen und Plätzen zu einheitlich bearbeiteten Gruppen zusammen zu schließen, nicht des Stiles wegen, sondern eben wegen der räumlichen und körperlichen Wirkung. Wir berühren uns in diesen Bestrebungen mit den besten Zeiten der Vergangenheit: mit Aegypten, Griechenland, der Renaissance und dem 18. Jahrhundert, die sämtlich in der Bearbeitung von ganzen Straßen und Städtebildern das vornehmste Ziel der Architektur erblickten. Die Gartenstadtbewegung, die an sich natürlich nichts mit Kunst zu tun hat, sondern wesentlich national-ökonomische, hygienische und soziale Ziele verfolgt, verspricht der Architektur im obigen Sinne eine wichtige, vielleicht die wichtigste Auftraggeberin zu werden, und von dieser Gelegenheit hängt natürlich für die bildende Kunst so viel wie alles ab. Die Gartenstadtbewegung erfaßt zum ersten Male wieder seit langer Zeit ganze Stadtgebilde als einheitliches Problem. Sie entbindet die Kunst damit von der fatalen Abhängigkeit historisch gewordener Verhältnisse. Das unsäglich verhängnisvolle Mißverständnis, als müsse man in historisch gewordenen Städten immer aufs Neue historische Zöpfe flechten, spielt in der Gartenstadt keine Rolle, hier wird frisch aus modernen Zwecken heraus gestaltet, und kein noch so pietätvoller Denkmalpfleger wird an solcher Stelle die Beachtung antiquierter Konstruktion und Stilregeln empfehlen wollen. Außer der Gelegenheit schenkt also die Gartenstadtbewegung der Baukunst auch noch die Freiheit, deren sie zu Meisterschöpfungen bedarf. Welche Grundsätze nun bei dem Entwurf von Gartenstädten walten sollen, ist eine zweite Frage. Ich meine, daß sie sich aus jedem Fall neu ergeben sollten; vermeiden sollte man nur das eine, woran die moderne deutsche Art, Städte zu entwerfen, krankt, nämlich die willkürliche Vermeidung der Regelmäßigkeit. Kunst strebt immer nach Ordnung, und ich sehe nicht ein, warum der Plan einer auf freiem und ebenem Gelände nach einheitlichem Plan gebauten Gartenstadt nicht die Regelmäßigkeit Mannheims aufweisen sollte. Es gibt genug Widerstände, die diese ideelle Regelmäßigkeit verhindern, eine langweilende Gleichmäßigkeit zu werden. Wer das Streben nach Ordnung so versteht, daß er unter gegebenen Bedingungen die größte erreichbare Ordnung schaffen möchte, wird nicht Gefahr laufen, das Quadrat mit der Ordnung zu verwechseln und in der Praxis zu mißbrauchen. Von größter Wichtigkeit aber schient mir auch der Gesichtspunkt zu sein, daß man der Gartenstadt nicht nur Einheitlichkeit verleiht, sondern auch Grenzen setzt. Die unendliche ästhetische Ueberlegenheit alter Städte beruhte auf der Tatsache, daß sie in Mauern lagen, also irgendwo begannen und einen fühlbaren Gegensatz zur umgebenden Landschaft bildeten. Nur wenige Städte an Flüssen und am Meere geben uns heute einen Begriff von den außerordentlichen Möglichkeiten, die in der Abgrenzung nach außen liegen. Während die Städte des Binnenlandes ins Uferlose zerrinnen und eine Entstehungswüste sie trostlos umgürtet, die man zumeist nur mit der Eisenbahn durchqueren mag, zeigen die Hafenstädte des Mittelmeers noch heute den bezaubernden Kontakt mit der Landschaft, die dort das Meer ist, und jene berückenden Silhouetten, wie sie im Mittelalter keine Stadt des Binnenlandes entbehrte. Da im Wesen der Gartenstadt auch ihre Begrenztheit liegt, sollte gerade sie als eine ihrer stärksten, künstlerischen Möglichkeiten begriffen und durchgebildet werden. Es müssen sich gerade aus diesem Gedanken Forderungen ergeben, die vielleicht mit manchen anderen in der Bewegung zu kollidieren scheinen. In Wirklichkeit wird man aber bald die allgemeinen und auch praktischen Vorzüge einer möglichst dichten Gruppierung der Häuser innerhalb des Bebauungsgebietes erkennen. Es ist eine Forderung vor allem der Oekonomie, daß man das Straßennetz nicht weiter als nötig ausdehnt, und eine Forderung der Kultur, daß man einen gedrängten aber wohl gepflegten Stadtgarten einem ausgedehnten aber schlecht gepflegten vorzieht. Jeder Vergleich mit der Bevölkerungsdichte in unseren Großstädten wird unpassend, wenn an der Forderung des Einfamilienhauses und der Begrenztheit der Gartenstadt an sich festgehalten wird. Vor nichts aber sollten wir uns mehr hüten, als den großen Rhythmus Stadt und Land in unserm Vaterlande aufzuheben, um an seine Stelle ein endloses Durcheinander von Häusern und Bäumen zu setzen. Stadt und Land könnten beide für uns große Erlebnisse, vielleicht die größten, sein, aber beide müssen sich nach ihren eigensten Gesetzen entwickeln und niemals ihre Schönheiten zu mengen trachten, denn damit geben beide auf, was sie sind.