Lebenslauf

Ich, Karl Ernst Osthaus, bin am 15. April 1874 zu Hagen in Westfalen geboren. Mein Vater war der Bankier Ernst Osthaus, meine Mutter, Selma, die Tochter des Großindustriellen Wilhelm Funcke, dem Deutschland die Blüte seiner Holzschrauben-Industrie verdankt. Dem Realgymnasium meiner Vaterstadt übergeben, legte ich daselbst am 13. August 1892 die Reifeprüfung ab. Meine frühen Interessen galten der deutschen Dichtung. Zwei Monate nach der Reifeprüfung fand in Hagen die Aufführung meines Trauerspiels "Columbus" statt. Gleich darauf siedelte ich nach Dieringhausen über, um auf Wunsche meines Vaters in der "Mühlenthaler Spinnerei" eine kaufmännische Lehrzeit anzutreten. Bald veranlaßte ihn aber mein nervöser Zusammenbruch, von einer weiteren Beeinflussung meiner Berufswahl abzusehen. So begab ich mich zu Ostern 1893 nach Kiel, um Philosophie und Literatur zu studieren. Ein Pfingstbesuch in Kopenhagen lenkte jedoch mein Interesse so stark auf die Gegenstände der bildenden Kunst, daß ich mich entschloß, das literarische Studium mit dem kunstgeschichtlichen und die Kieler Universität mit der Münchener zu tauschen. So hatte ich den Vorteil, meine Studien in unmittelbarer Fühlung mit den reichen Sammlungen der bayerischen Hauptstadt zu beginnen. Der Wunsch, diesen Anschluß zu verstärken, veranlaßte einen öfteren Wechsel der Universität. Vorab aber bestimmte mich eine damals noch bestehende Promotions-Vorschrift, das folgende Semester ausschließlich der Vorbereitung zum Gymnasialabiturium zu widmen. Im Winter 94-95 studierte ich in Berlin (Grimm, Frey, Curtius), im Sommer 95 zu Straßburg (Dehio, Michaelis, Ziegler), wo ich zugleich die Reifeprüfung am Lyceum ablegte. Dann ging ich nach Wien, hörte bei Riegl, Benndorf, Berger und beschloß nach Semestern meinen Aufenthalt etwas unfreiwillig, weil ich infolge eines zu intimen Verkehrs mit den Deutschnationalen in Oesterreich des Landes verwiesen wurde. Um diese Zeit erschien mein Trauerspiel "König Saul" im Druck. Mein siebentes und achtes Semester verbrachte ich wieder in Berlin und in Straßburg. Eine Blinddarmentzündung mit ihren Folgen verhinderte jedoch meine für diesen Zeitpunkt vorgesehene Promotion. Ich entging aus demselben Grunde der militärischen Einstellung. Zugleich vollzog sich durch den Tod meines Großvaters eine große Wandlung in meinem äußeren Leben. Ich sah mich plötzlich in die Lage versetzt, Gedanken zu verwirklichen, die mich im Laufe der Zeit sehr beschäftigt hatten. Sie zielten auf die kulturelle Hebung des industriellen Westens ab, dessen Entwicklung ich miterlebte und dessen Verwahrlosung ich stark empfand. Meine Absicht ging auf die Gründung mehrerer Institute, die wissenschaftlichen und künstlerischen Zwecken dienen sollten. Der Zufall, daß ich zwei naturwissenschaftliche Sammlungen von Bedeutung um diese Zeit erwerben konnte, dann auch persönliche Beziehungen zu dem unternehmungslustigen Hagener Gelehrten J. H. H. Schmidt bestimmten mich, mit einem Museum für Naturwissenschaft zu beginnen. Ein naturwissenschaftliches Studium von einigen Semestern schien diesem Plane förderlich. Ich begab mich daher zu diesem Zwecke nach Bonn (WS 97-98, SS 98). Die Osterferien benutzte ich in Gesellschaft des obgenannten Entomologen zu einer wissenschaftlichen Exkursion in den Atlas und die Sahara. Hier führte die lebendige Berührung mit der islamischen Kultur zwar nicht zu einer Aufgabe meiner nächsten Pläne, doch zu einer lebhaften Wiederaufnahme meiner kunstgeschichtlichen Studien, die nunmehr in selbständigere Bahnen einlenkten. Die Vorbereitungen zum Hagener Museumsbau hielten mich zunächst noch in Deutschland fest. Im Herbst (98) aber löste ich mich endgültig aus dem akademischen Leben, um auf einer Reise nach dem Orient ein tieferes Verhältnis zu den großen Kulturen des Ostens zu gewinnen. Ich besuchte Ungarn, Rumänien, die Türkei, Griechenland, Kleinasien, Syrien und Aegypten. Die Reise machte mich zum Sammler von Kunstwerken, und als ich im Frühjahr 1899 nach Hagen zurückkehrte, war das Problem der Aufstellung meiner Kunstsammlungen bereits dringend geworden. Dazu trat ein weiterer, unvorhergesehener Umstand. Der Orient hatte mein Urteil über Architektur geschärft, und meinem empfindlich gewordenen Auge hielt weder das deutsche Bauwesen im ganzen noch mein eigenes, im Bau befindliches Museum stand. Ich faßte sehr bestimmte Begriffe von einem modernen Stil und war überrascht genug, dasselbe Bestreben bei einigen Künstlern lebendig zu finden, die in diesen Tagen von sich reden machten. Mich berührte besonders das Schaffen des Vlamen Henry van de Velde. Ein kurzer Entschluß machte ihn am 1. Mai 1900 zum Nachfolger meines Museumsarchitekten; leider stand der Rohbau damals fertig, und die Gestaltung des Künstlers, der alsbald seinen Wohnsitz von Brüssel nach Deutschland verlegte, konnte sich nur noch auf die Innenausstattung beziehen. So kam es, daß der als naturwissenschaftliche Anstalt projektierte Bau ein Programmwerk des modernen Stils in Deutschland wurde. Es wird verständlich sein, daß die lebhafte Einstellung auf moderne Kunst nun auch zu einer eingehenden Beschäftigung mit den Werken zeitgenössischer Maler und Bildhauer führte. Als das Museum am 19. Juli 1902 eröffnet wurde, umschloß es drei selbständige Abteilungen: eine Galerie von Werken moderner Kunst, eine Sammlung von historischem Kunstgewerbe und - die naturwissenschaftlichen Objekte, für die es gebaut war. Die Beachtung der Öffentlichkeit aber wandte sich nicht ihnen zu, und hierin lag die Bestätigung einer Einsicht, zu der ich auf andern Wegen längst gelangt war. Das große Problem der Zeit war die Zurückführung der Kunst ins Leben, und dieser Aufgabe hat das Museum sich seither zu widmen versucht.

Mein persönliches Leben erfuhr inzwischen eine Veränderung, indem ich am 11. Oktober 1899 mit Gertrud Colsmann aus Langenberg im Rheinland den Bund der Ehe schloß. Ihr entsprossen 3 Söhne und 2 Töchter.

Meiner Fortbildung dienten von nun ab zahlreiche Reisen, die mich 1907 nach Spanien, 1909 nach England, 1911 wiederholt nach Griechenland, 1913 nach Rußland und zwischendurch sehr häufig nach Italien, Frankreich, London, den Niederlanden und Skandinavien führten. Ich suchte dabei meine kunstgeschichtlichen Kenntnisse zu erweitern, Probleme, die mich beschäftigten, zur Klarheit zu bringen und überall für die Vermehrung meiner Sammlungen tätig zu sein. Von wissenschaftlichen Ergebnissen haben meine Feststellungen über Spanische Fliesenkeramik im Orientalischen Archiv (I 1910/11 74) einen Niederschlag gefunden. Andere, die besonders das Gebiet der islamischen und ostasiatischen Kunst betreffen, sind in die Sammlungen verarbeitet und harren noch der Darstellung.

Es wurde als eine der wichtigsten Aufgaben des Museums empfunden, durch Ausstellungen das Verständnis für moderne Kunst und damit diese selbst zu fördern. Ein eigener Saal war dazu vorhanden, die Ausstellungen fanden in monatlichem Wechsel statt. Aus dieser Tätigkeit ergab sich im Jahre 1910 die Gründung des Deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe, einer Zentrale für Wanderausstellungen, die den Umlauf des gewerblichen Ausstellungswesens zu erleichtern bestimmt war. Das Deutsche Museum erwirbt Objekte des modernen Kunstgewerbes, stellt sie zu Ausstellungen zusammen und verleiht sie an öffentliche Institute gegen eine Leihgebühr. Durch dieses System ist eine Auswahl und gleichmäßige Höhe der Qualität gesichert, die früher beim besten Willen und mit großen Kosten nicht zu erzielen war. Das Museum hat von 1910 bis 1914 200 mal Ausstellungen ausgeliehen. Seine größeren Unternehmungen waren eine Ausstellung für religiöse Kunst in Brüssel (1912), eine Wanderausstellung von Deutschem Kunstgewerbe in Amerika (1912-13), die sieben Städte berührte und in den ersten Kunstinstituten des Landes die größte Beachtung fand, ferner die Abteilung für Deutsches Kunstgewerbe in der Weltausstellung zu Gent 1913. An der Deutschen Werkbundausstellung zu Köln 1914 war es mit vier Sonderausstellungen beteiligt. In der Kriegszeit dienen seine Sammlungen, soweit sie deutscher Herkunft sind, als Grundstock der Ausstellungen des Deutschen Werkbundes im neutralen Auslande.

Meine auf die Förderung moderner Kunst gerichtete Tätigkeit brachte mich früh in Berührung mit gleichgesinnten Verbänden. Ich gehöre dem Vorstande des Deutschen Werkbundes seit 1910 an, vertrete die westfälischen Interessen im Verbande der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein und präsidierte dem Sonderbunde, der sich die Abhaltung von Ausstellungen moderner Kunst in den Rheinstädten zur Aufgabe machte, zur Zeit seines Bestehens.

Besonders war mein Augenmerk darauf gerichtet, Künstler an die Stätte meines Wirkens zu ziehen und ihnen Aufgaben zuzuwenden. Das preußische Kultusministerium kam mir dadurch zu Hilfe, daß es ein staatliches Handfertigkeitsseminar nach Hagen legte, als dessen Lehrkräfte hervorragende Künstler herangezogen wurden. Aus dieser ineinandergreifenden Tätigkeit entwickelten sich Werkstätten, insbesondere die Hagener Silberschmiede, die Kunstwerke aus Edelmetall in hoher Vollendung ausführte und dazu beitrug, die künstlerische Verwendung deutscher Halbedelsteine neu zu beleben. Als bauliche Dokumente dieser Bestrebungen kamen im Laufe der Jahre eine Reihe von Anlagen und Ausstattungen in und bei Hagen zustande. So das Krematorium von Peter Behrens, ein Turbinenhaus von Bruno Taut, ein Maschinenhaus und mehrere Villen von van de Velde, Läden von Behrens und Mangold, ein Bankraum von Lauweriks. Ein Kongreß, den die Zentralstelle für Volkswohlfahrt zur Beratung über die Gestaltung des Arbeiterhauses auf meine Anregung in Hagen abhielt, brachte nicht nur im allgemeinen diese Frage in Fluß sondern hatte auch die lokale Folge einer von Riemerschmid entworfenen Arbeiterkolonie. Musteraufträge von Fabriken, von meinen Anstalten vermittelt, vermehrten diese langsam sich knüpfenden Beziehungen zwischen dem geistigen und dem wirtschaftlichen Schaffen.

Es erwies sich jedoch bald, daß der größere Teil höchst diplomatischer Bemühungen, die zu solchen Zwecken aufgewandt werden mußten, vergeudete Arbeit war. Beispiel ist alles. Aus dieser Einsicht folgerte für mich das Projekt einer Villenkolonie, die ich in einer landschaftlich ungemein reizvollen Lage an der Stadtperipherie anzulegen gedachte. Ich erwarb 1906 ein Areal von etwa 100 Morgen, entwarf mit Peter Behrens den Bebauungsplan und verteilte die Baublöcke und Straßen unter verschiedene Künstler. An den Verkauf der Grundstücke wurde die Bedingung geknüpft, daß die bauliche Gestaltung einzig in die Hände dieser Künstler gelegt werden dürfe. Die Ungewöhnlichkeit dieses Ansinnens weckte viel Widerspruch; es sind jedoch im Anschluß an mein eigenes Wohnhaus, den Hohenhof, den van de Velde von 1906-08 erbaute, inzwischen drei weitere Villen von Behrens und elf von Lauweriks entstanden, deren Bewohner mit den hohen Vorzügen einer durchgeistigen Gesamtanlage wohl zufrieden sind.

An dieser Stelle sei nachgetragen, daß meine dichterische Tätigkeit im Laufe der Zeit hinter die wissenschaftliche und organisatorische zurücktrat. Doch beschäftigte mich das Problem des Theaters nach wie vor in hohem Maße. Ich suchte durch Vorträge und Aufsätze auf die Reform der Bühne Einfluß zu nehmen, und zwar in dem Sinne, daß an die Stelle historischer Exaktheit künstlerische Gesamthaltung zu setzen sei. Im Sommer 1910 versammelte ich ein Ensemble tüchtiger Schauspieler, um sie moderne Dramen auf einer von Peter Behrens entworfenen Bühne spielen zu lassen. Andre Dekorationen wurden von Christian Rohlfs entworfen, von modernen Bühnendichtern nahm Herbert Eulenberg an diesen Versuchen tätigen Anteil.
Dichtung, Musik und Tanzkunst fanden im Folkwang vielfältige Pflege. Eulenberg, Heinrich Mann, Däubler und andere haben dort persönlich Vorlesungen gehalten. Aufführungen der Duncan-Schule und des Biebersteiner Seminars für klassische Gymnastik fanden statt. Auch der Tänzer Alexander Sacharoff hat in Hagen seine ersten großen Erfolge geerntet.

Der Ausbruch des Krieges verhinderte die Fortsetzung mancher Bestrebungen. Das Ausstellungswesen war erschwert. Immerhin ließ das Deutsche Museum 1915 noch vier seiner Wanderausstellungen durch die Schweiz reisen und stellte eine andere, "Kunst im Kriege", neu zusammen, um Zeitprobleme, wie Kriegerfriedhöfe, Denkmäler, Erholungshäuser und Heimstätten, von der künstlerischen Seite zu beleuchten. Die Ausstellung wanderte von Hagen aus über Berlin durch eine große Anzahl deutscher Städte. Allmählich aber wurden die Transportschwierigkeiten unüberwindlich. Es blieb dann nur die Wirkungsmöglichkeit des Wortes. Eine Sammlung von Diapositiven war längst angelegt, und Einzelvorträge bekannter Gelehrter, Künstler und Dichter gehörten zum Rüstzeug des Folkwang-Museums von Anbeginn. Jetzt wurden zusammenhängende Kurse eingerichtet und in wöchentlicher Wiederkehr durchgeführt. Nach Semestern wechselnd folgten sich Vorlesungen über die Kunst des Islam, der Barockzeit, des christlichen Mittelalters, der italienischen Renaissance, über die Keramik. Zu Abendkursen für Erwachsene gesellten sich solche für die höheren Schulen. Sie erfreuten sich unter verständnisvoller Förderung der Direktoren regster Anteilnahme. Für die Frage der Einführung des kunstgeschichtlichen Unterrichts in den Lehrplan der höheren Schulen konnten dabei wertvolle Erfahrungen gesammelt werden. 

An die Vorträge der Heimat schlossen sich solche im Kriegsgebiete und in der Etappe an. Gern folgte ich dem Rufe, der zur Eröffnung der Hochschulkurse der 6. Armee von Doornik aus an mich ging. Andere Vorträge folgten oder stehen bevor. Der Wunsch des Heeres, besonders mit aktuellen Problemen befaßt zu werden, tritt zu dem wachsenden Interesse der Heimat an Angelegenheiten der werdenden Kunst. Es erhellt sich damit der Ausblick auf ein beglückenderes, weil schöpferisches Zeitalter nach dem Kriege.

Zum Schluß sei noch einer Neugründung gedacht, die ebenfalls der Kriegszeit (1915) angehört. ihre volle Wirksamkeit aber erst später wird entfalten können. Es ist die Hagener Verlagsanstalt für Kunst und Kunstgeschichte. Sie hat sich zur Aufgabe gestellt, bisher vernachlässigte oder neuentdeckte Gebiete der Kunstgeschichte durch photographische Aufnahmen bester Qualität für die Wissenschaft zu erobern. Zunächst sind der süddeutsche Barock, die Schweiz und Belgien in Angriff genommen werden, daneben Werke der islamischen und ostasiatischen Kunst, schließlich Schöpfungen der Architektur und des Kunstgewerbes seit 1900. Die wissenschaftliche Verwertung des gewonnenen Materials soll durch Monographienserien gefördert werden, für deren Bearbeitung der Verlag bereits namhafte Gelehrte gewonnen hat. Besonderes Gewicht soll daneben auf die Herausgabe instruktiver Diapositivserien gelegt werden. Auch dieser Verlag ist als ein Mittel zur Förderung kultureller Bestrebungen im Industriebezirk gedacht. Seine Inhaber gewähren dem beteiligten Folkwang-Museum auf die geistige Leitung entscheidenden Einfluß.

Institute, die auf anderen Gebieten dem gleichen Zweck dienen sollten, lagen im Plane, als der Krieg ausbrach. Doch werden beruhigte Verhältnisse allein ihre Durchführung ermöglichen können.

Geschrieben im Juni 1918
Anlage zur Diss.: Grundzüge der Stilentwicklung, Folkwang Verlag, 1919