Osthaus, Karl Ernst: o.T., in: Im Kampf um die Kunst. Die Antwort auf den "Protest Deutscher Künstler" mit Beiträgen deutscher Künstler, Galerieleiter, Sammler und Schriftsteller, München 1911, S. 16-19.

Es ist eine alte Frage, ob Museen dazu da sind, Künstler zu unterstützen oder Kunst zu fördern. Die Künstler und vielfach mit ihnen die Kunstvereine stehen auf dem ersteren Standpunkt, während denkende Museumsleiter längst die Verantwortung erkannt haben, die ihnen eine unbedingte Pflege der Qualität auferlegt. Museen sind auch für den Künstler eine hohe Schule, und es wird von ihnen mit abhängen, ob unsere Kunst etwas taugen wird oder nicht. Weil wir das beste Lehrmaterial brauchen, deshalb darf bei Ankäufen nur nach der Güte des Werkes, nicht aber nach der Nationalität des Urhebers gefragt werden. Dass von diesem Standpunkt aus die Erwerbung französischer Bilder oft in Betracht gezogen werden musste, wird jeder verstehen, der weiss, was die französische Malerei des 19. Jahrhunderts für die Entwicklungsgeschichte dieser Kunst bedeutet. Es sind nahezu alle wichtigen Probleme dieser Jahre in Frankreich aufgegriffen und gelöst worden, und so verschiedene deutsche Künstler wie Feuerbach und Leibl haben dankbar anerkannt, dass sie Paris nicht weniger wie sich selbst verdanken. Erst die Epoche Hodlers und Thorn-Prikkers scheint dieses Schwergewicht in gewissem Masse zu verrücken, und man darf sich heute fragen, ob die Überlegenheit der modernen deutschen Baukunst nicht einer Verselbständigung der deutschen Malerei und Plastik die Wege geebnet hat. Aber heute, das verlangt die Aufrichtigkeit zu betonen, kann die deutsche bildende Kunst nicht anders als im Zusammenhange mit der französischen gezeigt und begriffen werden. Eine nicht von dieser Sachkenntnis zeugende Übertreibung ist es aber, von einer Überflutung unserer Museen mit französischen Bildern zu sprechen und daran finanzpolitische Erwägungen zu knüpfen. Ich glaube diejenige von allen deutschen Galerien zu leiten, die relativ die meisten französischen Bilder besitzt; aber ich habe für diese sämtlichen französischen Bilder, unter denen sich Meisterwerke von Daumier, Renoir, Cézanne, Gauguin und Matisse befinden, kaum soviel ausgegeben, wie für die zwei wichtigsten deutschen Bilder des Museums allein. In jeder anderen deutschen Sammlung wird das Verhältnis noch viel günstiger für die deutschen Maler liegen. Ich erwähne dies aber, um auf eine Gewohnheit hinzudeuten, die, ganz abgesehen von der Qualitätsfrage, der deutschen Künstlerschaft den Markt verdirbt. Freilich weniger den Museen wie Privaten gegenüber. Das ist die Gewohnheit, es mit grossen Preisen zu versuchen, bevor man seine Bilder zu mässigen hergibt. In Frankreich sind die Preise ernsthaft gemeint. Der französische Künstler beginnt, wie bei uns der Assessor oder Assistent, ideell mit einem kleinen Einkommen, um dann, falls er durchdringt, von Jahr zu Jahr zu steigen. Kenner wissen, dass sie schliesslich recht hoch steigen. Wer aufpasst, kann unter solchen Umständen als Sammler recht gute Arbeiten für geringe Mittel in seine Hand bringen. Er fühlt sich dabei wohl, weil er den Künstler durch seine rechtzeitigen Ankäufe nicht beleidigt. In Deutschland kommt auf zwei Bilderkäufe mindestens einer, der peinliche Situationen schafft. Die Familie eines grossen deutschen Malers verlangte von mir 9000 Mark für eine Skizze, die sie ein halbes Jahr später für 1500 Mark öffentlich ausbot. Fast in jeder grösseren Ausstellung erlebe ich, dass Bilder mit 5000 Mark und mehr ausgezeichnet sind, deren Urheber hungern. In Frankreich verlangt man in solchen Fällen 500 Franks. Auch deutsche Maler nähmen oft gern genug im stillen diesen Betrag; wer aber wagt 500 zu bieten, wo 5000 verlangt werden? Dieser Zustand ist, wie schon betont, kein Grund für die nicht existierende Überschwemmung unserer Museen mit französischer Kunst, wohl aber für den mangelhaften Kontakt zwischen Künstlerschaft und Käuferschaft in Deutschland, und Künstler, die hierin einen Wandel ersehen, täten besser, die allgemeinen Marktgepflogenheiten zu kultivieren, als mit patriotischen Phrasen Ankäufe zu verdächtigen, die im Interesse ihrer eigenen Entwicklung von den Museen getätigt werden.

Vor 150 Jahren hat der Streit übrigens schon einmal in Deutschland getobt, als Friedrich der Grosse in den Bildern Watteaus die grössten Meisterwerke seiner Zeit in preussischen Besitz brachte und durch die Anlage seiner Potsdamer Schlösser dafür sorgte, dass der grosse künstlerische Sinn seiner Tage auch in Preussen einen Niederschlag fand. Bei dem Gedanken daran, stehen vor mir die Geschichtsprofessoren auf, die uns solche Taten auf den höheren Schulen interpretieren. Wie bemühten sie sich, den guten Alten Frist wegen seiner patriotischen Entgleisungen zu entschuldigen! Sie betonten, dass Goethe noch in seinen dichterischen Windeln lag, als Friedrich seine Schlachten schlug. Dass sich ein unbedingter Instinkt für das Grosse und Wertvolle in seinen Handlungen aussprach, vergass man darüber auch nur zu ahnen. Es sind die Zöglinge solcher Magister, die heute ins Vinnesche Horn tuten. Leute, die denken und einen Massstab für künstlerische Leistungen in sich tragen, werden sich nicht irre machen lassen, so wenig, wie hoffentlich die Franzosen sich deutsche Musik verleiden lassen werden, der sie geschmackvoller zu huldigen verstehen, wie deutsche Ignoranten der französischen Kunst. Wir wenigen aber, die wir französischen Geist und französischer Schöpferkraft entscheidende Werte unserer Persönlichkeit danken, werden nicht ablassen im Hinüber und Herüber künstlerischer Anregungen ein verheissungsvolles Symptom europäischer Völkerfreundschaft zu sehen.

Hagen i.W. 
Karl Ernst Osthaus
Direktor des Folkwang Museums.